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9. Wissenschaftliches Symposium "Ein unbekanntes Zeitalter – Das Paderborner Land im 19. Jahrhundert"

16.09.2017

Referenten: Dr. Annette Hennigs, Justus Hillebrand,Dr. Christina Rathgeber und Dr. Richard Janus

Das  9. Wissenschaftliche Symposium des Kreismuseums Wewelsburg fand in diesem Jahr am 16. September statt und befasste sich mit dem 19. Jahrhundert in regionalgeschichtlicher Perspektive.

Das Kreismuseum steht in den nächsten Jahren vor der Aufgabe, die Geschichte des Paderborner Landes seit dem Ende des Fürstbistums Paderborn (1802/03) durch wissenschaftliche Forschung, Sammlungstätigkeit und vor allem natürlich durch Ausstellungen in sein Angebot aufzunehmen. Mit dem Symposium wurde der Beginn der Beschäftigung des Kreismuseums mit seinem zukünftigen – dritten – Themenschwerpunkt markiert. Gerade die ersten – königlich preußischen – 100 Jahre der Existenz der Kreise Paderborn und Büren (1816-1918) müssen in historiografischer Hinsicht als ein vergleichsweise unbekanntes Zeitalter betrachtet werden. Wissenschaftliche Arbeiten, die sich schwerpunktmäßig mit unserer Region in diesem Zeitraum beschäftigen sind dünn gesät. Dr. Annette Hennigs, die als erste Referentin vorgesehen war, ist als Dezernentin im Landesarchiv NRW, Abteilung Ostwestfalen (Detmold), gewissermaßen amtlich mit dem Thema befasst. Leider fiel ihr Vortrag „Die Kreise Paderborn und Büren im 19. Jahrhundert: Verwaltungsgeschichtliche Aspekte“ krankheitsbedingt aus.

Der gebürtige Marsberger Justus Hillebrand, Doktorand an der University of Maine (USA), stellte in seinem Vortrag „‘Im Interesse der Landwirthe‘? Landwirtschaftliche Bildungsinstitutionen im Hochsauerland 1840-1914“ seine Forschungen zu einem wichtigen Wandlungsprozess in der ländlichen Gesellschaft Westfalens im 19. Jahrhundert vor. Anhand der Entwicklung in seiner Heimatregion beleuchtete er das institutionelle, mediale und personale Geflecht, in dem das traditionale, familiär überlieferte bäuerliche Wissen als handlungsleitendes Instrument in der Landwirtschaft durch das akademisierte und zentralisierte Wissen der universitären Agrarwissenschaften und staatlich organisierten Landwirtschaftsschulen abgelöst wurde. Ländliche Regionen galten vor diesem Hintergrund zunehmend als rückständig und „unmodern“. Die ländliche Produktion wurde mehr und mehr industrialisiert.

Nach der Kaffeepause behandelte das Symposium Aspekte des Themenfeldes „Kirche und Konfession“ im 19. Jahrhundert. Dr. Christina Rathgeber, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, skizzierte am Beispiel des katholischen Widerstandes gegen die Raumerschen Erlasse im ehemaligen Hochstift Paderborn und in Westfalen 1852 den Beginn des politischen Katholizismus in Preußen. Die von Kultusminister Karl Otto von Raumer 1852 initiierten Erlasse richteten sich gegen die Aktivitäten des Jesuitenordens u. a. in Gestalt von Volksmissionen, von denen aus nach der Revolution von 1848/49 eine Erneuerung und Festigung katholischer Frömmigkeit ausgehen sollte. Die ersten Volksmissionen in Paderborn fanden Ende 1851 statt, in der Folgezeit wurde Paderborn neben Münster zu einem zentralen Ausgangspunkt für die Volksmissionen, die einen enormen Anklang bei der katholischen Bevölkerung fanden. Die Missionen umfassten mehrere Tage, beinhalteten Gottesdienste, Gebete, Predigten in einfacher Sprache, die Möglichkeit zur Beichte sowie Prozessionen. Während insbesondere die Laien der „niederen und mittleren Stände“ von dem missionarischen Angebot der Jesuiten angesprochen wurden, reagierte das Bildungsbürgertum distanzierte darauf; die Ortsgeistlichen wiederum standen der Anwesenheit fremder Ordensgeistlichen in ihrer Pfarrei sehr misstrauisch gegenüber.

Der preußische Staat sah in den Aktivitäten der Jesuiten ein aufwiegelndes, den konfessionellen Frieden störendes Moment, zumal dieses von einer vom Staat unabhängigen, von außen geführten, strikt antiprotestantischen Organisation in Bewegung gesetzt worden war.

Im Mai 1852 wurden im Zuge des ersten Raumerschen Erlasses die Oberpräsidenten dazu ermahnt, die Missionare genau zu beaufsichtigen, der zweite Raumersche Erlass vom 16. Juli 1852 bestimmte, dass inländische Studenten der Theologie sich grundsätzlich nicht an jesuitischen Anstalten ausbilden lassen dürften und dass umgekehrt Jesuiten und Geistliche, die an Jesuitenanstalten ausgebildet worden waren, die Niederlassung in Preußen zu untersagen sei. Diese Erlasse waren für die staatlichen Stellen mit einem hohen Risiko verbunden, hatte doch die revidierte preußische Verfassung vom 31. Januar 1850 Religions- und Vereinsfreiheit gewährt und damit das Engagement der Jesuiten erst wieder möglich gemacht. Tatsächlich bewirkten die Erlasse einen breiten katholischen Protest, der sich auf diese verfassungsmäßig verbrieften Rechte freier Religionsausübung berief. Getragen wurde dieser Widerstand von Bischöfen, katholischen Abgeordnete im preußischen Landtag, aus deren Reihen im November 1852 die „Katholische Fraktion“ als Vorläufer des „Zentrums“ hervorging, vor allem aber von einer breiten Laienbewegung, die in Gestalt von rund 75 Petitionen vorwiegend aus dem Rheinland und Westfalen die Rücknahme der Erlasse forderte. Ein Blick auf die Unterzeichner der Petitionen offenbart wichtige Trägergruppen dieser frühen katholischen Bewegung: Landwirte, Handwerker, Ärzte, Lehrer, Gastwirte, Inhaber kommunaler Ämter und Adlige. Insbesondere die letztere Personengruppe hätte in ihrem Engagement für den Widerstand gegen die Raumerschen Erlasse ihre künftige große Bedeutung für die Herausbildung eines eigenen katholischen politischen Bewusstseins unter Beweis gestellt, so die Referentin. Für den preußischen Staat wiederum wurde es vor diesem Hintergrund zunehmend heikel, die Raumerschen Erlasse konsequent umzusetzen, zumal innerhalb der Regierung auch Unmut über das forsche Vorgehen von Raumers herrschte. Zugleich wollte die Regierung aber durchaus deutlich machen, dass den verfassungsmäßig zugestandenen Freiheiten der Kirche durch staatliche Interessen Grenzen gesetzt seien. Dies führte in den Folgejahren zu einer doppelgleisigen Strategie der Regierung, die einerseits den Ansprüchen der katholischen Bevölkerung entgegenkam und auf die buchstabengetreue Anwendung der Raumerschen Erlasse verzichtete, andererseits am Misstrauen gegenüber dem Jesuitenorden festhielt. 20 Jahre später, Im Juni 1872, wurde der Jesuitenorden dann im Rahmen der antikatholischen Gesetzgebung des „Kulturkampf“ ausgewiesen.

Zum Abschluss des Symposiums skizzierte Dr. Richard Janus, Universität Paderborn, die Entwicklung des Protestantismus und das Gemeindeleben im Kirchenkreis Paderborn im 19. Jahrhundert. Erst ab der Inbesitznahme des Hochstifts Paderborn durch preußisches Militär 1802 entwickelten sich im seit der Regierungszeit Fürstbischof Dietrich von Fürstenberg weitgehend katholisch geprägten ehemaligen Hochstift Paderborn wieder evangelische Gemeinden. Der Zuzug von Protestanten ergab sich durch preußische Militärangehörige und Regierungsbeamten aus altpreußischen Gebieten, später aufgrund der Einwanderung aus dem benachbarten Lippe und dem nahen Hessen. Die junge evangelische Kirchengemeinde Paderborn erhielt 1809 ihren ersten eigenen Pfarrer, in den 1820er bis 1840er Jahren entstanden weitere evangelische Gemeinden u. a. in Warburg, Lichtenau, Brakel und Lippspringe. Ursprünglich zum Kirchenkreis Bielefeld gehörig, bildeten die evangelischen Gemeinden des ehemaligen Hochstifts seit 1840 den eigenen Kirchenkreis Paderborn mit einem Superintendenten an der Spitze. Die finanziellen Verhältnisse der frühen protestantischen Gemeinden dieses Kirchenkreises waren bescheiden, ihre geografische Ausdehnung teilweise so beträchtlich, dass die Pfarrer anfangs bis zu sechs Stunden unterwegs waren, um von einer Wirkungsstätte zur nächsten zu gelangen. Während der zweiten Hälfte des 19. Jahrhundert stieg die Zahl der evangelischen Christen im Kirchenkreis Paderborn deutlich an (1850: rd. 6 000, 1914: rd. 16 000), es kam zu zahlreichen Gemeindeneugründungen auf dem Gebiet älterer Gemeinden.

Geprägt wurde der Kirchenkreis Paderborn im 19. Jahrhundert wesentlich durch die Persönlichkeit des Superintendenten Konrad Beckhaus (Amtszeit 1858-1890) und dessen streng lutheranische Haltung in Abgrenzung zu den Reformierten. Neben dieser innerprotestantisch bedingten Tendenz zur Rekonfessionalisierung war es vor allem die Diaspora-Situation der Protestanten in einem katholisch geprägten, sich zunehmend selbst auf seine Konfession besinnenden Umfeld, die im Paderborner Land für eine starke Abgrenzung zwischen den christlichen Konfessionen sorgte. Insbesondere im Gefolge des „Mischehenstreits“ 1837 kam es zu lange andauernden Spannungen zwischen Protestanten und Katholiken. Während die Katholiken die Protestanten mit der neuen, teilweise ungeliebten preußischen Herrschaft identifizierten und ihnen von daher ablehnend gegenüber standen, beeinflusste die Diaspora-Situation die meisten evangelischen Gemeinden des Kirchenkreises Paderborn im Sinne einer konservativen, abgrenzend wirkenden Richtung. Die daraus resultierenden Auseinandersetzungen zwischen Protestanten und Katholiken erläuterte der Referent anhand aussagekräftiger Beispiele, darunter Streitigkeiten um die Nutzung von Friedhöfen durch Protestanten, z. B. in Driburg, oder Konflikte um Gottesdienste der Protestanten in ehemaligen Klosterkirchen in Brakel, Büren und Warburg, die auch von Katholiken weiter benutzt wurden. Auch anhand der Auseinandersetzungen um die Schließung von Ehen mit Partnern unterschiedlicher Konfession und der sich daraus ergebenden Frage der konfessionellen Erziehung der Kinder belegte Janus am Schluss seines Vortrags die auch noch am Ende des 19. Jahrhunderts bestehende Kluft zwischen Protestanten und Katholiken im Paderborner Land.

Übergang 4

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