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Meine Großeltern, die Nazis?

14.07.2011

Eine exemplarische Familiengeschichte, Moritz Pfeiffer

Opfer, Mitläufer oder Täter? Moritz Pfeiffer ging der NS-Vergangenheit seiner Großeltern auf den Grund. Über das Ergebnis seiner Recherche referierte der wissenschaftliche Volontär des Kreismuseums im Burgsaal der Wewelsburg.

Meine Großeltern, die Nazis? – Eine exemplarische Familiengeschichte

Opfer, Mitläufer oder Täter? Moritz Pfeiffer ging der NS-Vergangenheit seiner Großeltern auf den Grund. Über das Ergebnis seiner Recherche referierte der wissenschaftliche Volontär des Kreismuseums im Burgsaal der Wewelsburg.

Kreis Paderborn (krpb). Das Foto zeigt ein glückliches Brautpaar in einer blumengeschmückten Hochzeitskutsche, er in der Uniform eines Leutnants der deutschen Wehrmacht, sie im typischen dunklen Kostüm der Kriegsjahre. Diese beiden jungen Menschen sind die Protagonisten, deren Erinnerungen an den Nationalsozialismus 60 Jahre später die Grundlage einer exemplarischen innerfamiliären deutschen Vergangenheitsaufarbeitung bilden sollten.

Wie haben die eigenen Eltern oder Großeltern den Nationalsozialismus erlebt? Was haben sie geglaubt, übersehen, mitverantwortet und erlitten? In seinem Vortrag vor rund 80 Zuhörern im Burgsaal der Wewelsburg stellte der Historiker Moritz Pfeiffer Methoden und Chancen einer sachlichen innerfamiliären Vergangenheitsaufarbeitung exemplarisch anhand seiner mehrjährigen Spurensuche zur NS-Vergangenheit in der eigenen Familie vor. Basis dafür waren Erinnerungsinterviews und der Abgleich mit zeitgenössischen Quellen wie Urkunden, der Wehrmachts-Personalakte des Großvaters und den Kriegstagebüchern seiner Militäreinheit. 

"Opa war kein Nazi"
Der international bekannte Sozialpsychologe Harald Welzer referierte bereits des Öfteren in der Wewelsburg. Er geht davon aus, dass die Deutschen erfreulich viel über den Nationalsozialismus wüssten. Die Verbrechen und die deutsche Verantwortung seien allgemein akzeptiert, die eigenen Vorfahren würden jedoch aus diesem historischen Kontext ausgeklammert. Sofern in deutschen Familien überhaupt über die Zeit zwischen 1933 und 1945 gesprochen würde, würden in der Wahrnehmung der Kinder und Enkel häufig aus ursprünglich systemkonformen Eltern oder Großeltern NS-kritische, manchmal gar dem Widerstand zugerechnete, Vorfahren. Eine repräsentative Umfrage 2002 durch Emnid habe diesen Befund bestätigt. 

Das Wissen über Nationalsozialismus und Holocaust bezögen vor allen Dingen jüngere Menschen aus TV, Schule, Büchern und Zeitschriften. „Auf dem letzen Platz unter den Informationsquellen rangieren die familieninternen Zeitzeugen“, so Pfeiffer. 

Exemplarisches Fallbeispiel: Die eigenen Großeltern
In den zahlreichen Interviews standen sich nun der 80-jährige Großvater und sein 25-jähriger Enkel gegenüber. Voraussetzung für ein solch schwieriges Gespräch sei das Bemühen um eine sachlich-differenzierte Haltung des Interviewers gewesen. Man dürfe die eigenen Vorfahren weder pauschal verurteilen, noch ihnen einen „Persilschein“ ausstellen, sie also grundsätzlich von Schuld frei sprechen, meinte Pfeiffer.

In ihrer Durchschnittlichkeit und Normalität, so Pfeiffer, seien seine Großeltern ein gutes Beispiel dafür, wie sehr der Nationalsozialismus, seine Verheißungen, Parolen und Inszenierungen von der breiten Gesellschaft angenommen, und wie letztlich auch seine Ausgrenzung und Verbrechen im Beisein, Mitwirken und Wegschauen der „ganz normalen Deutschen“ verübt wurden. 

Aus konservativen Elternhäusern stammend, in denen die deutschnationale Volkspartei gewählt und der Bolschewismus als feindlich angesehen wurde, begeisterten sich die Großeltern in ihren Familien sehr schnell für den Nationalsozialismus. Beide stiegen zu HJ-Führern auf. Die enorme Dynamik und mitreißende Energie der Massenaufmärsche, die Kollektiv-Erlebnisse und Propagandainszenierungen taten ihr Übriges, von der Richtigkeit überzeugt zu sein, so die Erinnerungen des Großvaters. Die Großmutter trat der NSDAP bei und arbeitete vor ihrer Heirat in der Kreisleitung der Partei; der Großvater wurde Berufsoffizier, und dessen Bruder meldete sich freiwillig zur Waffen-SS.

Widersprüche, Verharmlosung, Legenden 
Sprachen die Großeltern in ihren Erinnerungen der Propaganda für Großereignisse wie die Olympischen Spielen eine große Bedeutung zu, so maßen sie den Medien im Bezug auf die Berichterstattung zur Verfolgung der jüdischen Bevölkerung, wie z.B. der Pogromnacht, keine besondere Wirkung bei. Ein anderer Widerspruch zeigte sich bei der Befragung zu Exekutionsbefehlen in der 6. Armee, der der Großvater angehörte. In seiner Erinnerung ging es hier ausschließlich um SS-Befehle nur für SS-Einheiten. So habe sich zunächst bei beiden Befragten eine konsequente Abwehr persönlicher Schuld und eine Verharmlosung der eigenen Rolle gezeigt. Die Parteimitgliedschaft der Großmutter wurde z.B. verschwiegen. „Wo die schlimmen Sachen“ passierten, seien sie nicht gewesen. 

Das Bild einer „sauberen“ Wehrmacht war in den Darstellungen des Großvaters fest verankert, vielen Fragen wich er aus oder schweifte ab. Er räumte ein, vor unangenehmen Aspekten vorsätzlich die Augen verschlossen zu haben. Am Beispiel des Judenmordes befragt, offenbarte der Großvater nach langem Gespräch, in dieser Zeit über ein ungleich größeres Wissen als zunächst angegeben, verfügt zu haben.
Diese Analyse seines Wissensstandes bezüglich des Judenmords entspricht auch einer Auswertung von Gesprächen von Wehrmachtssoldaten, die in alliierter Gefangenschaft abgehört wurden. Sie belegen, dass die Ermordung der Juden offensichtlich zum allgemeinen Kenntnisstand von Wehrmachtssoldaten aller Waffengattungen gehörte. Selbst zurückhaltende Schätzungen gehen heute von 20 bis 25 Millionen deutschen „Mitwissern“ des Holocausts aus, bei 200.000 Täterinnen und Tätern. 

Schmerzhaftes Ringen mit der eigenen Vita
In den Interviews mit ihrem Enkel erkannten die Großeltern das Unrecht des NS-Regimes an. Das Ringen mit der eigenen Schuld allerdings war schon zuvor ein jahrelanger schmerzhafter Prozess, der sich bei beiden eher in einer Sprachlosigkeit äußerte, die der Großvater z.B. durch das gezielte Verschenken von Büchern zum Thema Nationalsozialismus zu überwinden versuchte. 

Allein in allen Gesprächen äußerten beide Großeltern kein Mitgefühl mit den Opfern des Nationalsozialismus. Sie neigten eher dazu, die Opferzahlen aller Kriegsbeteiligten gegeneinander aufzurechnen. Der Großvater blendete Chronologie und Kausalität der Gewalt aus, da ihn offensichtlich die enormen Opferzahlen sprachlos machten und sein Ausdrucksvermögen aus Schuld und Scham kapitulieren ließen. 

Die Erzählungen aus den Nachkriegsjahren spiegelten einen Rückzug ins Private und den Existenzaufbau wie bei Millionen anderer Deutschen wider. Gleichwohl bemühten sich die Großeltern um eine demokratische Erziehung ihrer Kinder mit einer besonderen Liebe zu Frankreich, das sie beide in ihrer Jugend ja noch als den „Erbfeind“ gesehen hatten. Ihre Diskussionsbereitschaft war prägend für den Familienalltag und machte wahrscheinlich die Interviews in der gezeigten Intensität erst möglich. 

Minderbelastet - und doch mitschuldig
Müsste Moritz Pfeiffer seine Großeltern gemäß den Kategorien der Entnazifizierungsmaßnahmen einstufen, so würde er sie als „minderbelastet“ ansehen. Sie waren nur kleine Rädchen im Getriebe des NS-Regimes, trugen aber an ihrem jeweiligen Platz auf unterschiedliche Weise zum Geschehen bei. 

Zum Ende seines Vortrags stellte Moritz Pfeiffer deutlich seine These heraus: „Die Aufarbeitung der jeweils eigenen NS-Familiengeschichte ist ein wichtiger Beitrag zu Verständnis und Akzeptanz des demokratischen Rechtsstaats. Wer versteht, wie die eigenen, zumeist geliebten Eltern und Großeltern sich einer Diktatur gegenüber verhalten haben, ist selbst hoffentlich weniger anfällig für Populismus, Hetzparolen und Missbrauch“, so Pfeiffer

In der nachfolgenden regen Diskussion tauschten vor allem die Zuhörer, die die Generation der Kinder vertraten, ihre Erfahrungen über die „Schweigementalität“ aus, die in den 1950er bis 1970er Jahren Schulen und Familien beherrschte. Die Enkelgeneration, so war man sich einig, habe durch ihre Distanz und die inzwischen erfolgte wissenschaftliche Aufarbeitung des Nationalsozialismus eine bessere Ausgangssituation zur Reflexion. 

Für seine Bereitschaft, sich mit diesem schwierigen Thema in der Familie auseinanderzusetzen, erntete Moritz Pfeiffer großen Applaus. Seine Aufarbeitung wird 2012 als Buch veröffentlicht werden.

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