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"2 oder 3 Dinge, die ich von ihm weiß", Malte Ludin

06.05.2010

Der Regisseur Malte Ludin hat in einem beeindruckenden Film die eigene NS-Familiengeschichte aufgearbeitet und den innerfamiliären Umgang mit dem Vater - einem verurteilten NS-Täter - dokumentiert. Nach der Filmvorführung stand Ludin dem Publikum für eine anregende Diskussion zur Verfügung.

„Er hat nicht mit der Pistole irgendwo gestanden oder den Schlüssel zur Gaskammer gehabt“

Regisseur Malte Ludin zeigte in der Wewelsburg seinen Film "2 oder 3 Dinge, die ich von ihm weiß" über das eigene innerfamiläre Ringen mit der NS-Vergangenheit

Kreis Paderborn (krpb). „Nein, ich kann mich nicht für schuldig erklären. Ich handelte im Rahmen meiner Befehle“, schrieb Hanns Ludin, SA-Obergruppenführer und Hitlers Gesandter in der Slowakei, kurz vor seiner Hinrichtung. „Er hat nicht mit der Pistole irgendwo gestanden oder den Schlüssel zur Gaskammer gehabt“, sagt seine Tochter, beinah wütend. „Dies ist die Geschichte meines Vaters, eines Kriegsverbrechers. Eine typisch deutsche Geschichte“, sagt der Sohn, Malte Ludin. Der Berliner Regisseur und Produzent hat in seinem Film „2 oder 3 Dinge, die ich von ihm weiß“ gut 60 Jahre danach mit der Kamera das Ringen mit der eigenen, innerfamiliären NS-Geschichte eingefangen. Entstanden ist ein über weite Strecken sehr intimer Dokumentarfilm, der auch den Zuschauern Kraft abverlangt. Der Film wurde am 6. Mai abends im Burgsaal der Wewelsburg gezeigt. Malte Ludin stellte sich im Anschluss den Fragen des Publikums.

Die Gegenwart der Vergangenheit
Die offensichtlichen Fakten sind schnell erzählt: Hanns Ludin konspirierte früh mit Hitler und zeigte sich als überzeugter Nationalsozialist. Ab 1933 machte er innerhalb der südwestdeutschen SA Karriere. Als „Gesandter Erster Klasse“ setzte Hitler ihn ab 1941 in der Slowakei ein. Hier war er an der Deportation der slowakischen Juden beteiligt. Nach dem Krieg wurde er an die Tschechoslowakei ausgeliefert und dort als Kriegsverbrecher zum Tode verurteilt und hingerichtet. „Er ist dabei umgekommen“, heißt es an einer Stelle im Film. Die Formulierung ist symptomatisch. Obwohl seine Schwestern schließlich einwilligen, sich interviewen zu lassen, lassen sie viele Türen unverschlossen, wehren sich vehement gegen die Fakten, mit denen ihr Bruder sie konfrontiert. Die verbale Flucht kostet Kraft, man sieht ihnen den Schmerz an, der auch als Zuschauer beinah physisch zu spüren ist, so eindringlich sind die Bilder: Die fahrigen Handbewegungen, das Kopfschütteln, Augen, die sich der Kamera entziehen. Doch Ludin ist unerbittlich, hakt immer wieder nach. „Maltechen, du spielst dich auf als Rächer der Enterbten“, heißt es an einer Stelle trotzig. „Maltechen, es war Krieg“. Dann setzen die Schwestern dagegen. Gezeigt wird das Familienalbum, man erinnert sich an schöne Anekdoten, beschreibt die Räumlichkeiten in der beinah herrschaftlichen, "arisierten" Villa in Bratislava mit separatem Spiel- und Esszimmer für die Kinder. Für Malte Ludin ist es der „Täterort“. Dazwischen immer wieder das Foto der sechs Geschwister im Gras auf einer blühenden Sommerwiese. Familienidylle pur. 

Der Vater neben Himmler und Hitler
„Woher sollte der Vater denn wissen, was in den Arbeitslagern geschah. Wer sollte ihm das denn gesagt haben?“ Beinah gebetsmühlenartig dieser Einwand der Schwestern. Ludin zeigt als Antwort Bilder vom Vater mit Himmler und Hitler, die eine gewisse Vertrautheit verströmen. Wann immer Zweifel geäußert werden, Verdrängungsmechanismen wirken, zeigt die Kamera Dokumente, in denen von Deportation und "Endlösung der Judenfrage" die Rede ist. Unterzeichner: Hanns Ludin. Besonders aufschlussreich sind die eingestreuten Interviews mit der Mutter, die nach dem so genannten Röhm-Putsch ihren Mann mit dem Satz "Wo gehobelt wird, da fallen Späne" getröstet hatte. „Sie hat in diesen Interviews mehr verschwiegen als sie preis gegeben hat“, sagt Ludin. Es war die Mutter, die in den Folgejahren vehement das Andenken ihres Mannes als liebevoller Ehemann und Vater, der schlicht seine Pflicht erfüllte, hoch zu halten trachtete. Solange sie lebte, hätte ich mich an diesen Film nicht gewagt", sagt Ludin dann auch zu Beginn des Films, "und sie lebte lange". Auch die Enkel kommen zu Wort, denen die „Emotionalität der direkten Begegnung“ fehlt. Sie sind konsequent in ihrem Denken.

Der Regisseur schont sich selbst nicht, reist in die Vergangenheit, führt Gespräche mit Überlebenden. Darunter ein Dichter, der vom Vakuum des Bösen spricht, das ständig neu gefüllt werde und stets aktiv sei. Damit sei das Böse stärker, weil das Gute sich selbst genüge. Auch diese Szene zeigt, dass die NS-Zeit lange Schatten wirft. An einer Stelle ringt der Filmemacher um Fassung, fragt beinah verzweifelt: „Wo hat Vater das denn alles hingesteckt“. Malte Ludin hat diesen Film wohl auch gemacht, um eine Antwort darauf zu bekommen, vielleicht auch, um ein wenig Frieden zu finden. Seinen Vater betrachtet er mittlerweile „dreidimensional“, erzählt er in Wewelsburg. Als Mensch, als jemanden, dem er sogar positive Gefühle entgegen bringen kann, als NS-Verbrecher. Über eine Stunde beantwortet Ludin die eindringlichen Fragen der Zuschauer. Ist Wiederholung möglich? Ludin lächelt: „Darauf habe ich keine Antwort. Darauf hat niemand eine Antwort. Bedarf es einer anderen Uniform? Keiner Uniform?“ Die Antwort liegt wohl in uns selbst. Malte Ludin hat gezeigt, wie man konsequent Vergangenheit aufarbeitet und ist damit beispielgebend. Denn über die Hälfte der Deutschen leugnet bis heute, dass es in der eigenen Familie Nazis gab. 

Vortragsreihe 2010
Mit dem Beitrag von Malte Ludin setzte das Kreismuseum Wewelsburg seine Vortragsreihe im Jahr der Eröffnung der Erinnerungs- und Gedenkstätte Wewelsburg fort. Als nächstes referiert am 27. Mai Dr. Jan Erik Schulte zum Thema „Die Quadratur des Kreises: Wie sich die Geschichte der SS museal darstellt“.

Hauptbild Unterzeile: Hanns Ludin, Malte Ludins Vater. Bildrechte bei Absolut Medien GmbH, www.absolutmedien.de

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