Wie jeden unerträglichen Tag ging Joy mit einem Gefühl von Angst und Einsamkeit in Richtung der
hohen Betonmauern. Ein kalter Wind ging durch die Luft und Joy schaute hinauf in den Himmel. Der
Himmel ließ nicht einen blauen Flecken erkennen. Alles war mit dunklen, grauen Wolken behangen.
Man hätte schon meinen können, der Himmel sei schwarz. Je näher sie den Betonmauern kam, um
so unwohler fühlte sie sich. Alles in ihr weigertete sich weiter zu gehen. Die Mauern wurden immer
größer. Es schien als würden sie mit jedem Schritt, den Joy ging, weiter in die Höhe wachsen. Gleich
würde sie von ihnen verschluckt werden. Jeden Moment würden sie sich auf sie stürzen. Nur noch
wenige Schritte, dann musste Joy durch das große rote Tor. Noch einmal kurz ließ sie ihren Blick über
die fast vermoderten Buchstaben, die über dem Tor hingen, streifen. HARDES, das war das Wort, das
dort geschrieben stand. Ein letzter, kalter Luftzug erreichte sie, sodass die Kälte ihren ganzen Körper
durchfuhr.
Zitternd überschritt sie die Grenze und versuchte sie immer tiefer in ihren weißen Pulli einzutauchen,
in der Hoffnung an einem anderen, warmen und schöneren Ort zu sein. An einem Ort, wo sie nicht
jeder hasste. An einem Ort, wo ihr nicht alle abwertende Blicke zuwarfen. Was ist es wert ein solches
Leben zu führen? Ein Leben ohne Sinn. Langsam und mit schweren Schritten ging sie weiter den
dunklen Gang entlang. Schon richteten sich die ersten spöttisch blickenden Augen auf Joy. Hetzend
und abwertend kamen die Gestalten auf sie zu. Joy wollte sie nicht ansehen. Sie wollte ihre Augen
schließen, diesen unerträglichen Ort verlassen. Einfach verschwinden, weglaufen. Aber sie musste
bleiben. Sie musste weiter in die hohen Mauern hinein. Jeder Schritt wurde schwerer. Jeder weitere
Blick ließ sie in sich zusammensacken. Sie merkte wie ihre Kräfte begannen zu schwinden. Dann
brach sie zusammen. Ihre Augen füllten sich mit Tränen, sodass sie die Hände über ihrem Kopf
zusammenschlug. Ihre klaren Tränen fielen auf den dreckigen Boden und färbten sich dunkel. Aber
anstatt dass die anderen Gestalten sie in Ruhe ließen, kamen sie auf sie zu. Begannen Joy mit Füßen
zu treten, mit Dreck zu beschmeißen. Warum nur tun sie mir das an? Was habe ich falsch gemacht?
Warum akzeptieren sie mich nicht, so wie ich bin? Sehen sie denn nicht, dass ich nicht mehr kann?
Dass ich bald zusammenbreche und sie mich zerstören? Immer wieder spürte Joy die Tritte von
ihnen. Schmerzen breiteten sich in ihr aus. Dann war alles still. Schwarze Stille überall. Doch plötzlich
war etwas anders. Was war passiert? Joy wurde von einem ihr unbekannten Gefühl ergriffen. Es
fühlte sich auf eine Art gut an. Es war keins von den Gefühlen, die sie bisher kannte. Kein Schmerz.
Keine Trauer. Keine Einsamkeit. Etwas vollkommen anderes.
Blinzelnd öffnete Joy die Augen. Sie blickte in die Augen eines Jungen. Sie hatte ihn noch nie zuvor
gesehen. Wo kam er her? Aber vor allem: Warum war er zu ihr gekommen und tat ihr nicht weh? Joy
musterte den Jungen und beobachtete ihn noch immer etwas erstaunt über sein Auftauchen. Der
Junge hatte sich über sie gelehnt, um sie von den schmerzerfüllenden Tritten der anderen zu
schützen. Bei jedem Tritt, den nun er abbekam, zuckte er etwas zusammen. Aber sein kräftiger
Körper hielt den Angriffen stand. Er zog nicht einmal in Erwägung sich zu wehren oder zurück
anzugreifen. Im Gegenteil – anstatt, dass er sich den Angreifern zu wand, blickten seine klaren
grünen Augen nur auf sie. Seine ganze Aufmerksamkeit schenkte er nur ihr. Es war das erste Mal in
Joys Leben, dass jemand für sie da war. Sich für sie einsetzte. Sie konnte es noch immer nicht fassen.
Warum nur tut er das? Als die anderen merkten, dass sie ihm nichts anhaben konnten, gingen sie
davon. Joy blickte noch immer tief in seine Augen. Auch er wollte seine Augen nicht von ihren
nehmen. Noch eine ganze Weile regte sich keiner von ihnen. Dann aber löste er seinen Blick von ihr
und stand auf. Er reichte ihr seine Hand und Joy griff mit einem Lächeln im Gesicht danach. Lächeln,
das hatte sie an diesem Ort des Grauens noch nie, aber jetzt war alles anders. Er wendete alles zum
Besseren. Er schaffte es, dass der Ort für Joy wieder etwas schöner wurde. Sie kannte ihn nur wenige
Minuten, aber sie wusste ganz tief in ihrem Herzen, dass er für sie da sein wird und sie sich immer
auf ihn verlassen konnte. Dass er sie mögen wird. Sie akzeptieren wird, so wie sie ist. Während sie
weiter in die tiefen Gassen der hohen Mauern hinein gingen, ließ er ihre Hand nicht los. Wenn Joy
von anderen angegriffen wurde, dann stellte er sich dazwischen und verteidigte sie. Vielleicht
werden die anderen sie niemals akzeptieren, aber sie wusste, dass sie ihn hatte, der sich für sie
einsetzte und für sie da war, und nur das zählte. Ihr war der Mensch begegnet, der sie tolerierte!Marie-Sophie Tepper Q1
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