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Die Befreiung der Häftlinge des Konzentrationslagers in Wewelsburg

Kirsten John-Stucke

Befreiung

„Ein Offizier sagt, dass wir nun frei wären! Ich setze mich nieder, schlage die Hände vor’s Gesicht und beginne haltlos zu weinen. Der ganze Jammer von neun Jahren ist zu Ende! Ich bin frei, frei, frei! Ein Russe kommt und gibt mir eine Flasche Wein. Man hat schon Himmler’s Weinkeller geöffnet! Ich trinke H. Himmler’s Wein! Ich sitze an einer Mauer und trinke Wein – unfassbar! „Swoboda! Freiheit!“ so ruft man, umarmt sich, lacht und weint. Ich falte die Hände und danke Gott, dass ich diesen Tag noch erleben darf.“

Dieses schrieb Paul Buder in seinem Erinnerungsbericht, den er 1976 im Zuge seiner Zeugenaussagen für den 2. Wewelsburg Prozess über seine Erlebnisse im KZ Niederhagen anfertigte. Buder war bereits im Mai 1940 mit 100 weiteren Zeugen Jehovas aus dem KZ Sachsenhausen ins Konzentrationslager nach Wewelsburg gekommen. Heinrich Himmler, Reichsführer SS setzte seit 1939 KZ-Häftlinge für sein Großprojekt „SS-Schule Haus Wewelsburg“ ein. Die Wewelsburg sollte zu einer zentralen Versammlungsstätte der SS ausgebaut werden. Die Zahl der Häftlinge wuchs stetig an. Am 1. September 1941 wurde das Außenlager des KZ Sachsenhausen zum Hauptlager KL Niederhagen/Wewelsburg erhoben. Mit der Einweisung von sowjetischen Kriegsgefangenen und Zwangsarbeitern seit Mitte 1942 verschlechterten sich die Lebens- und Arbeitsbedingungen drastisch. Von den ca. 3.900 KZ-Häftlingen starben mindestens 1.285. Im April 1943 wurde das Hauptlager aufgelöst, die meisten der zu diesem Zeitpunkt 1.500 Insassen wurden auf andere Lager verteilt. 42 Häftlinge, 40 Zeugen Jehovas und 2 politische Häftlinge, bezogen nach der Auflösung des Hauptlagers KZ Niederhagen im April 1943 die Werkstattbaracke des Industriehofes auf dem Lagergelände und wurden als Außenkommando dem KZ Buchenwald unterstellt. Lediglich fünf SS-Männer bewachten dieses Restkommando. Zu diesem Zeitpunkt befanden sich noch weitere Menschen auf dem ehemaligen KZ-Gelände: Seit Oktober 1943 wurden Baracken des Lagers als Umsiedlungslager mit insgesamt über 2000 sogenannte Volksdeutschen genutzt. Seit Mitte Januar 1944 dienten Baracken des SS-Lagers als Wehrertüchtigungslager für die Hitlerjugend. Es befanden sich aber auch mehrere hundert evakuierte Familien aus dem Ruhrgebiet in den Baracken, die bei Bombenangriffen ihre Wohnungen verloren hatten.

Im Frühjahr 1945 überschlugen sich auch in Wewelsburg die Ereignisse. Ende März flüchteten die Angehörigen der SS-Burgmannschaft mit ihren Familien aus Angst vor den anrückenden Alliierten aus dem Dorf. Die Häftlinge des Restkommandos mussten einen Großteil der Kunstschätze und Teppich, die Himmler in der Wewelsburg angesammelt hatte, im Untergeschoss des Wachgebäudes einmauern und in der Umgebung verstecken. Am Karsamstag, 31. März 1945, sprengte Hauptsturmführer Heinz Macher die Wewelsburg. Das brennende Schloss wurde von Bewohnern des Dorfes und der Umgebung geplündert, bevor es am Ostersonntag, 1. April 1945, vollends ausbrannte.

In diesen letzten Tagen, in denen die SS noch in Wewelsburg war, wuchs unter den Häftlingen die Sorge, dass sie noch vor dem Einmarsch der heranrückenden US-Amerikaner in Wewelsburg hingerichtet werden könnten. Einen Grund sahen sie darin, dass sie der SS wegen ihres Mitwissens um die eingemauerten Kunstschätze zu gefährlich werden könnten. Verschiedene Gerüchte und Legenden ranken sich in der Überlieferung und in den Erinnerungsberichten um die Geschehnisse des 1. und 2. Aprils 1945, die aufgrund mangelnder schriftlicher Überlieferungen nicht weiter belegt werden können. Sie verdeutlichen aber die Dramatik dieser chaotischen Tage vor dem Einmarsch der US-amerikanischen Truppen.

Der zu Beginn bereits erwähnte Paul Buder schildert eine zweite Gefahr in seinen Erinnerungen folgendermaßen:
„1. April 1945 - Denn einmal kommt der Tag! Der Tag, den wir herbeigesehnt hatten, nun war er da! – Die Amerikaner sollen in Soest sein! Tagelang schon Fliegeralarm. Bombenteppiche über Paderborn! Die Erde bebt! Neue Geschwader folgen, die Motoren dröhnen über uns, die Baracken beben und zittern, wenn die Bomben bersten. Unsere SS-Männer sind bedrückt und machen betroffene Gesichter. – Dann aber ist es soweit. Skupy [der Lagerführer] kommt zu uns! “Ich habe den Befehl, euch erschießen zu lassen!“ […] „Aber ich lege meine Waffe nieder! Verfügt über mich!“ Skupy legte Pistole und Munitionskasten auf den Tisch. Wir fragen, wie die SS-Männer darüber denken. Einige sind für’s Erschießen, der größere Teil aber dagegen. Kurt Hüter, der Spanien-Kämpfer sagt mir, dass wir ganz beruhigt schlafen könnten, wenn die SS-Männer kämen, würde er sie schon empfangen! Er knöpft die Jacke auf, zwei Stielhandgranaten stecken im Gürtel! In den Taschen aber hatte er Eierhandgranaten, und umgeschnallt einen Armeerevolver! […]. Er wolle die ganze Nacht im Gebüsch wachen und warten auf das, was evtl. kommen könnte. Auf alle Fälle würde er die Handgranaten zwischen die SS Männer werfen, und dann mit der Pistole den Rest erledigen. Das hätte er in Spanien gelernt. – Die SS kam aber nicht.“

Paul Buder schrieb in seinem Bericht auch über die Erzählung des Fuhrunternehmers Johann Wieseler, der nach seiner Aussage durch eine beherzte Tat einen Erschießungsbefehl vereitelte. Eine letzte Gefahr soll noch von 12 SS-Offizieren gedroht haben, die sich in der Nacht vom 1. auf den 2. April im Barackenlager aufgehalten haben sollen.

In seinem Erinnerungsbericht schildert Paul Buder weiter, dass die Häftlinge deshalb aus Sorge um ihr Überleben entschieden, dass zwei von ihnen direkt Hilfe von den US-Truppen holen sollten. Um sich ausweisen zu können, statteten sie sich mit ihren Häftlingspersonalkarten aus und fuhren den amerikanischen Truppen mit Fahrrädern entgegen. Dort angekommen, vermuteten die Amerikaner zunächst einen Hinterhalt und glaubten den Boten nicht. In der Tat zogen die amerikanischen Truppen bei ihrem Vormarsch von Süden her nach Paderborn zunächst an Wewelsburg vorbei, um den sog. „Ruhrkessel“ zunächst zu schließen und besetzten erst dann die umliegenden Dörfer.
Am 2. April 1945, um 13.35 Uhr, erreichten schließlich Soldaten des 16. US-Infanterie-Regiments das Gelände des ehemaligen KZ Niederhagen. Im ersten Bericht an das Hauptquartier der 1. US-Infanterie-Division meldeten die Soldaten, sie seien auf 1300 Inhaftierte gestoßen. Offensichtlich verwechselten die amerikanischen Frontsoldaten die aus Osteuropa stammenden Insassen des Umsiedlungslagers und die französischen „Zivilarbeiter“ zunächst mit KZ-Häftlingen.

Am 3. April untersuchten die amerikanischen Aufklärungssoldaten das KZ-Gelände gründlicher und befragten dabei auch die 42 ehemaligen Häftlinge. Die Alliierten waren überrascht, an diesem Ort ein Konzentrationslager vorzufinden. Die Gefangenen schilderten deshalb ausführlich die unmenschlichen Verhältnisse im KZ Niederhagen und arbeiteten in den nächsten Wochen eng mit der amerikanischen Militärverwaltung zusammen.

Kirsten John-Stucke

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